Donnerstag, 27.08.2009, 12:01
Finnley ist 2 Jahre, 10 Monate alt
2 Jahre, 3 Wochen bis zu Jaspers Geburt
öffentlichGesetz zur Bekämpfung der Kinderpornographie in Kommunikationsnetzen
Hier ist ja eigentlich kein Ort für politische Äußerungen. Heute mache ich mal eine Ausnahme, da meiner Meinung nach ein hoher Aufklärungsbedarf zum „Gesetz zur Bekämpfung der Kinderpornographie in Kommunikationsnetzen“ und der Hintergründe besteht. Nach § 184b StGB ist die Verbreitung und der Besitz von Kinderpornografie schon lange verboten. Warum also dieses Gesetz? Ich habe einige Fakten und verschiedene Recherchen gesammelt und versuche, die Zusammenhänge sachlich und objektiv zu erklären.
Um das Gesetz zu verstehen, sollte man zunächst wissen, wie das Internet (zumindest teilweise) funktioniert.
Domain Name System
Ruft man eine Internetadresse (z.B. dreikaisers.de) auf, wird dieser Text hinter den Kulissen in eine Zahlenfolge (IP-Adresse) umgewandelt. In unserem Falle ist das 80.237.132.192, eine IP-Nummer, die zur Firma HostEurope in Köln führt, auf deren Server dreikaisers.de und noch viele andere Webseiten liegen.
Die Umwandlung von der Internetadresse zur IP-Adresse übernehmen sogenannte DNS-Server (Domain Name System). Sie arbeiten ähnlich wie eine Telefonauskunft: man sagt einen Namen und erhält die zugehörige Telefonnummer. Welchen DNS-Server man verwenden möchte, kann man in den Interneteinstellungen festlegen, die meisten werden es aber bei den Grundeinstellungen belassen und den DNS-Server seines Internetanbieters (Telekom, Kabel Deutschland, etc.) nutzen. Man kann aber auch kostenlose Anbieter wie OpenDNS nutzen, die einige Zusatzfunktionen bieten oder besonders schnell arbeiten. Jeder Computer erlaubt diese Einstellungen.
Das Gesetz
Kommen wir zurück zum Gesetz und wie damit Kinderpornografie bekämpft werden soll.
Das Bundeskriminalamt erstellt Listen von Internetangeboten mit kinderpornographischem Inhalt. Diese Sperrlisten werden an deutsche Internetprovider gesendet, die dann ihre DNS-Server so manipulieren, dass bei Aufruf der Internetseiten eine Stoppmeldung erscheint. Bereits im April 2009 haben fünf Internetprovider (Deutsche Telekom, Vodafone/Arcor, Alice/HanseNet, Kabel Deutschland und Telefónica/O2) einen Vertrag mit der Bundesregierung unterschrieben, in dem sie die Umsetzung der Sperrlisten zusagen. Die Sperrlisten sind geheim. Kontrolliert werden die Listen stichprobenartig und mindestens quartalsweise von einem fünfköpfigen Gremium, das zum größeren Teil aus Richtern bestehen muss.
(Auf der Webseite des Bundesrats gibt es den vollständigen Gesetzestext.)
Der Nutzen
Mit dem Stoppschild wird praktisch ein Sichtschutz aufgestellt. Der Server mit dem Kinderpornografieangebot befindet sich immer noch dahinter. Nutzt jemand einen anderen DNS-Server als den der vertraglich verpflichteten Provider, erscheint das Stoppschild nicht. Er kann also einfach hinter das Stoppschild sehen. Die Sperre wirkt also nur bei völlig unbedarften Internetbenutzern. Von einer „Bekämpfung der Kinderpornografie“ kann in keinem Fall die Rede sein, eher von „Verstecken“. Es ist davon auszugehen, dass jemand, der Kinderpornografie betrachten will, auch in der Lage ist, seine Interneteinstellungen entsprechend zu ändern.
Die Gefahren
- Die Polizisten des Bundeskriminalamts (Exekutive) entscheiden zunächst allein, welche Internetseiten gesperrt werden sollen. Da eine Kontrolle durch ein richterliches Gremium (Judikative) nur stichprobenartig und im geringsten Falle nur vier mal im Jahr durchgeführt wird, wird hier die im Grundgesetz (Art. 20 Abs. 2 Satz 2) festgelegte Gewaltenteilung ignoriert.
- Die Anbieter von Kinderpornografie sind durch das Stoppschild rechtzeitig gewarnt und können schnell auf einen anderen Server umziehen und sich so der Sperrung und vielleicht sogar der Strafverfolgung entziehen.
- Dieses Gesetz schafft die Grundlagen für eine Zensur des Internets. Da die Sperrliste geheim ist, lässt sich nicht überprüfen, ob nicht auch andere Inhalte als Kinderpornografie gesperrt werden. Einige Politiker haben bereits die Ausweitung der Sperren auf andere Inhalte gefordert.
Kritiker: Löschen statt Sperren
Seit dem ersten Gesetzentwurf im April 2009 gibt es sehr viele Kritiker, die die Wirksamkeit des Gesetzes bezweifeln. Eine der ersten Forderungen war „Löschen statt Sperren“. Und in der Tat fragt man sich, warum die Anbieter von Kinderpornografie nicht sofort rechtlich belangt werden und ihre Server vom Netz genommen werden. Warum hängt man nur ein Stoppschild davor, das jeder einfach umgehen kann?
Familienministerin Ursula von der Leyen, die maßgeblich für das Gesetz verantwortlich ist, behauptet, dass Kinderpornografie in vielen Staaten legal ist und eine Strafverfolgung deshalb nicht möglich ist. Konkret spricht sie von 95 Nationen ohne entsprechende Gesetze.
… Die Polizei hat bereits eine Ermittlungsbefugnis. Das Problem ist, dass Kinderpornografie international nicht hinreichend verboten und verfolgt wird.
… Da aber in der Hälfte aller Staaten Besitz und Verbreitung von Kinderpornografie entweder nicht unter Strafe steht oder nicht ausreichend sanktioniert wird, reichen in vielen Fällen polizeiliche Mittel allein nicht aus …
…und das zweite entscheidende Ziel muss sein: die Quellen löschen, da auf dem Server wo sie sind, aber da gerät man an seine Grenzen, wenn der Server zum Beispiel in Indien steht, ein hochkompetentes Land was Computertechniken angeht, aber ein Land, das keinerlei Form von Ächtung vom Kinderpornografie hat, da können sie nicht mehr löschen.
Diese Argumentation steht auf sehr wackeligen Beinen. Laut indischem Strafgesetzbuch von 1973 wird Kindesmissbrauch bestraft, jeder Akt mit Minderjährigen wird als Vergewaltigung angesehen. Seit Februar 2009 existiert zusätzlich ein spezielles Gesetz gegen Kinderpornografie in elektronischer Form.
Laut einer Recherche von Dirk Landau gibt es weltweit nur 12 bis 21 Länder, in denen es keine rechtliche Handhabe gegen Kinderpornografie gibt. Darunter befinden sich auch Länder, die nicht einmal die nötige Internet-Infrastruktur besitzen, um entsprechende Server zu betreiben.
Warum also werden Webseiten, die gegen bestehende Gesetze verstoßen, nicht einfach vom Netz genommen und deren Hintermänner strafrechtlich belangt? Ist es wirklich so schwer, Webseiten zu schließen?
Alvar Freude vom Arbeitskreis gegen Internet-Sperren und Zensur hat die Probe aufs Exempel gemacht: er analysierte Sperrlisten anderer europäischer Länder und schrieb 348 Provider in 46 Ländern an, auf dessen Servern sich kinderpornographisches Material befinden sollte. Das Ergebnis: nach nur 12 Stunden waren bereits 60 Webauftritte gelöscht. Und das mit einer einfachen Email. Erschreckenderweise enthielten die Sperrlisten überwiegend Webseiten ohne zu beanstandenem Material. Auf der finnischen Sperrliste befanden sich sogar Webseiten, die sich kritisch über Internetsperren äußerten, ein klarer Fall von Zensur.
Kritiker: Sperren sind leicht zu umgehen
Auf auch die Kritik, dass die Sperren sehr leicht zu umgehen seien, hat Ursula von der Leyen eine Antwort:
Naja, wir wissen dass bei den vielen Kunden die es gibt, rund 80% die ganz normalen User des Internets sind. Und jeder der jetzt zuhört, kann jetzt sich selber fragen: wen kenn’ ich, der Sperren im Internet aktiv umgehen kann, die müssen schon deutlich versierter sein. Das sind die 20%, die sind zum Teil schwer Pädokriminelle, die bewegen sich in ganz anderen Foren, die sind versierte Internetnutzer, natürlich auch geschult im Laufe der Jahre in diesem wiederwärtigen Geschäft.
Ich muss das noch einmal wiederholen: Nach Meinung von Frau von der Leyen können nur 20% der Internetnutzer die Sperren umgehen und die sind zum Teil auch noch schwer „pädokriminell“. Mal abgesehen davon, dass ich diese Aussage in allen Punkten stark bezweifle: sollten nicht gerade die schwer „Pädokriminellen“ von der Kinderpornografie ferngehalten werden?
Kritiker: Das Gesetz hilft nicht gegen Missbrauch
Christian Bahls, selbst Missbrauchsopfer, gründete den Verein „Missbrauchsopfer gegen Internetsperren“ (MOGIS). In einem Interview mit der Sendung Zapp (NDR) sagte er:
Diese Demagogie, mit dem Sperrbegriff den Leuten zu suggerieren, die Inhalte wären danach weg, das ist einfach unlauter. Das geht nicht. Das geht überhaupt gar nicht und schon gar nicht bei diesem Thema. Dieses Thema ist extrem brisant. Die Regierung tritt hier auf den Gefühlen von Opfern herum. Weil wir doch ganz genau wissen, es geht doch gar nicht um uns.
Sie (Ursula von der Leyen) tut eben gerade nichts. Sie tut genau gar nichts. Sie macht jetzt hier Wahlkampfgetöse, sie macht genau das selbe, was in Familien passiert, wenn ein Missbrauch aufgedeckt wird. Da redet man nicht drüber. Das möchte keiner sehen und genau das ist es: es möchte keiner sehen und wir tun jetzt ein Stoppschild davor.
Auch er will, dass dass die Inhalte von den Servern gelöscht und nicht nur verdeckt werden.
Franziska Heine trat ebenfalls sehr früh gegen die Sperrungen ein, sie hat deshalb eine Online-Petition gegen das Gesetz eingereicht. Sie hält das geplante Vorgehen für undurchsichtig, unkontrollierbar und ohne Einfluß auf die körperliche und seelische Unversehrtheit missbrauchter Kinder. Diese Petition war so erfolgreich wie noch keine zuvor. 134.015 Menschen haben sie mitgezeichnet. 50.000 Unterschriften sind notwendig, um vor dem Petitionsausschuss gehört zu werden. Leider ist diese erfolgreiche Petition seit dem 16.6.2009 in der parlamentarischen Prüfung und wird erst in der nächsten Wahlperiode weiter behandelt werden.
Schlechte Argumente und falsche Zahlen
Ursula von der Leyen führt viele Argumente an, um eine Sperrung von Webseiten zu rechtfertigen. Laut BKA stieg die Verbreitung von kinderpornografischen Bildern und Videos von 2006 auf 2007 um 111% an. Diese Zahlen kommen wohl u.a. durch die medienwirksame „Operation Himmel“ zustande, bei der zwar gegen 12570 Verdächtige Verfahren eingeleitet wurden, es aber scheinbar zu keiner Verurteilung kam. Trotzdem wurde die Zahl in die Statistik übernommen.
Die FDP stellte eine „kleine Anfrage“ (PDF) an die Bundesregierung und wollte damit in Erfahrung bringen, auf welchen Erkenntnissen die Aussagen Frau von der Leyens beruhen. Die Antworten wirken ahnungslos.
Auszug aus der Antwort der Bundesregierung:
4. In welchen Ländern steht Kinderpornographie bislang noch nicht unter Strafe?
Dazu liegen der Bundesregierung keine gesicherten Kenntnisse im Sinne rechtsvergleichender Studien vor…
6. Wie viele Server, auf denen sich kinderpornographische Inhalte befinden, stehen in Ländern, in denen Kinderpornographie nicht unter Strafe steht?
…Sie (die Bundesregierung) hat daher auch keine Informationen über Serverstandorte in solchen Ländern…
9. Über welche wissenschaftlichen Erkenntnisse verfügt die Bundesregierung im Zusammenhang mit der Verbreitung von Kinderpornographie, und welche Erkenntnisse zieht die Bundesregierung aus diesen Untersuchungen?
Die Bundesregierung verfügt über keine eigenen wissenschaftlichen Kenntnisse. …
10. In welchem Umfang plant die Bundesregierung die Vergabe einer wissen- schaftlichen Studie über das Ausmaß und Wege der Verbreitung von Kinderpornographie in Internet und Wege zur effektiven Bekämpfung solcher Inhalte?
Die Bundesregierung plant derzeit nicht die Vergabe einer wissenschaftlichen Studie. Sie geht aber davon aus, dass im Zusammenhang mit der Evaluierung des Gesetzes zur Bekämpfung der Kinderpornographie in Kommunikationsnetzen (nach dem vorliegenden Entwurf innerhalb von 2 Jahren nach Inkrafttreten) eine umfassende Untersuchung in Auftrag gegeben wird.
11. Welche Sperrlisten anderer Länder hat die Bundesregierung untersucht?
Die Bundesregierung hat keine Sperrlisten untersucht. …
13. Wenn ja, wurden diese Angebote in Deutschland geschlossen, und wenn nein, warum nicht?
Die Bundesregierung weist darauf hin, dass die polizeiliche Veranlassung der Schließung krimineller Angebote Sache der Länder ist. …
17. Auf welche Datengrundlage stützt sich die Bundesregierung bei der Einschätzung des kommerziellen Marktes für Kinderpornographie in Deutschland?
Die Bundesregierung verfügt über keine detaillierte Einschätzung des kommerziellen Marktes für Kinderpornographie in Deutschland. …
Die namentliche Abstimmung (PDF) über den Gesetzentwurf fand am 18.6.2009 statt.
Ja | Nein | Enthaltung | Nicht abg. | |
---|---|---|---|---|
CDU/CSU | 198 | 1 | - | 24 |
SPD | 190 | 3 | 3 | 26 |
FDP | - | 54 | - | 7 |
Die Linke | - | 36 | - | 17 |
Grüne | - | 33 | 15 | 3 |
fraktionslos | 1 | 1 | - | - |
Meine persönliche Meinung
Ich halte dieses Gesetz für sinnlos, weil die Maßnahmen mit einfachsten Mitteln zu umgehen sind. Kein Kind wird dadurch vor Missbrauch geschützt.
Wir haben bereits Gesetze gegen Kinderpornographie, mit denen sich bestehende Server schließen und deren Betreiber bestrafen lassen. Wenn das Bundeskriminalamt Sperrlisten anlegen kann, wieso kann es nicht einfach die Serverbetreiber ermitteln, das Material per Gerichtsbeschluss entfernen lassen und die Täter zur Rechenschaft ziehen? Der Serverstandort ist sogar ohne Vorratsdatenspeicherung einfach herauszufinden, hier zum Beispiel mit unserer IP 80.237.132.192.
Ich will gar nicht behaupten, dass die Bundesregierung mit dem Thema Kinderpornografie bewusst versucht, den Grundstein für ein unkontrollierbares Zensursystem in Deutschland zu installieren. Ich glaube eher, dass sie gar nicht genau weiß, was sie da in Gang setzt. Wahrscheinlich möchte Ursula von der Leyen tatsächlich etwas gegen Kinderpornografie unternehmen, hat sich aber von Beginn an schlecht beraten lassen. Vermutlich schlägt sie die Kritik von Experten nicht in den Wind, weil sie beratungsresistent ist, sondern weil sie inzwischen einfach nicht mehr zurückrudern kann. Schließlich herrscht Wahlkampf im Land. Und dazu ist ein Totschlagthema wie Kinderpornografie bestens geeignet.
Das ganze hat aber auch etwas positives: viele, die Politik vorher langweilig fanden, finden nun Interesse daran. Wenn auch aus Ärger darüber, wie Politiker populistisch und ohne Themenkenntnis Gesetze verabschieden.
Max Winde hat es auf Twitter in einem Satz zusammengefasst:
Wo ist hier der "like"-Button?
Danke, Michael, für diesen wirklich guten und wichtigen Post, dessen Inhalt so klar formuliert ist, dass ihn sogar ein Politiker verstehen könnte.
Ja, sie werden sich wünschen, wir wären politikverdrossen.
Zum 1. Mal versteh ich die Zusammenhänge! Wenn das "Stopp"-Schild eine vorläufige Sperre wäre, um die Zeit zu überbrücken, bis die Seite gelöscht würde, dann wäre es vielleicht ein Kompromiss. Aber natürlich nur, wenn es tatsächlich bei den kinderpornografischen Seiten bliebe und nicht andere Seiten zensiert würden.
Auf jeden Fall ein dickes Danke für die Entwirrung meines Viertelwissens.
Es ist unwahrscheinlich, dass es bei den Sperren bei kinderpornografischen Inhalten bleibt. Dazu haben sich schon zuviele Politiker (z.B. Wiefelspütz und Bosbach) und Lobbyisten zu Wort gemeldet, die auch eine Scheibe vom Sperrkuchen abhaben möchten.
Das wäre auch noch einen Absatz wert gewesen, genauso wie der „rechtsfreie Raum“ Internet, die angeblichen Millionengeschäfte mit kommerzieller Kinderpornografie, die Machenschaften der deutschen Kinderhilfe, das Feindbild Internet, die Verbindung von der Leyens zu „Innocence in Danger“ und vieles mehr.
Aber dann wäre der Beitrag noch länger geworden, keiner hätte ihn gelesen und ich hätte ihn wahrscheinlich sowieso nie fertigbekommen.
Guter Artikel. Danke dafür.
du schreibst auszug: "das zum größeren Teil aus Richtern bestehen muss."
das ist nicht ganz korrekt, soweit ich es verstanden habe.
im gesetz steht lediglich:
"Die Mehrheit der Mitglieder muss die
Befähigung zum Richteramt haben."
du brauchst also nur ein abgeschlossenes jurastudium und mußt eben kein richter sein. es gibt keine richterliche kontrolle, was das ganze noch gefährlicher macht.
ansonsten aber eine schöne zusammenfassung